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 Astrid Volpert- Freie Publizistin
- Kunstkritikerin, Kuratorin
- Lektorin
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Perm erinnert an seinen Bauhaus-Architekten

Zum 100. Geburtstag von Philipp Tolziner am 16. Oktober 2006

Bild: Plakat Tolz

Das Landeskundliche Museum in der Uralmetropole Perm residiert neben der Gemäldegalerie mit den berühmten altrussischen Holzskulpturen am Komsomolskij-Prospekt - einer der schönsten Magistralen, die die Stadt vom hohen Kama-Ufer aus in südlicher Richtung durchqueren. Der Architekt Hannes Meyer, der Anfang der 1930er Jahre dort zu Arbeitsstudien weilte, war beeindruckt von der Lage der Stadt, als er zwei neue Wohnbezirke - Nishne-Kurinsk und Gorki - entwarf. Aufgrund der heute noch hohen Wertschätzung dieser städtebaulichen Modelle wird Meyer im aktuellen Architektenlexikon des Gebietes genannt, obwohl der Großteil seiner Pläne durch einen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg verhängten Baustopp sowie die in der Nachkriegszeit gewachsenen neuen Bedürfnisse und wirtschaftlichen Umorientierungen in seiner Komplexität nicht verwirklicht werden konnte.

Meyer ist indes nicht der einzige Bauhaus-Architekt, der in dem Buch als einheimischer Städteplaner rangiert. Perm ist auch die zweite Heimat seines einstigen Schülers aus Dessau Philipp Tolziner. Dabei hatte dieser den Ort keineswegs aus freien Stücken gewählt. Die Besucher des Landeskundlichen Museums erfahren seit August in einer mit großem Interesse wahrgenommenen Ausstellung, was den gebürtigen Münchner in den nördlichen Ural trieb und ihn Jahrzehnte in dieser Region bleiben ließ.

Im Februar 1931 war Tolziner mit anderen Absolventen der um Hannes Meyer versammelten "Roten Bauhausbrigade" nach Moskau gekommen, um bei der Projektierung und dem Aufbau neuer sozialistischer Industriestädte im ganzen Land mitzuwirken. Als Mitte der 1930er Jahre seine Aufenthaltsgenehmigung auslief, beantragte er die sowjetische Staatsbürgerschaft. Denn als deutscher Jude konnte er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren, seine Familie war bereits ausgewandert bzw. in den Gaskammern der Nazis umgekommen. Doch Tolziner war sich auch bewußt, daß er in einer doppelten Falle saß. Die Stalinschen Repressionen verschonten ihn nicht. Als der 32jährige in der Lubjanka verhört wurde, tauschte er den sicheren Tod durch Erschießen gegen eine zehnjährige Lagerhaft, indem er Freunde beschuldigte, die er in Sicherheit glaubte. So kam er 1938 nach Solikamsk im hohen Norden, wo zu dieser Zeit der Usollag, eines der größten Häftlingslager, entstand. Seine beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten wurden gebraucht..., und Tolziner blieb auch nach seiner Entlassung und der Rehabilitierung 1956 vor Ort, in der Region. Erst 1961 siedelte er nach Moskau über, wo er 1996 verstarb.

Bild: Plakat Tolz

Wichtige Teilnachlässe seines ungewöhnlichen Weges, über den er erst in seinen letzten Lebensjahren bruchstückhaft sprach, befinden sich in der Stadt Perm, im Landeskundlichen Museum, das bereits 1998 mit einer ersten Ausstellung an ihn erinnerte und nun, zum 100. Geburtstag, ihm eine größere Schau gewidmet hat: "Bauhaus-Moskau-Usollag-Perm". Gezeigt werden darin auch originale Bauzeichnungen und Fotos aus dem Archiv des OZOP, des Gebietszentrums zum Schutz der Denkmäler der Architektur und Geschichte. Dabei handelt es sich um jene staatliche Institution, deren Vorläufer Tolziner selbst 1950 in Solikamsk gegründet hatte und deren Restaurationswerkstatt er als erster Chefarchitekt vorstand.

Tolziner nimmt in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung unter den emigrierten Bauhäuslern ein: Er ist einerseits der einzige von den in der Sowjetunion verbliebenen, der die Stalinschen Repressionen überlebte, andererseits hat er sich vornehmlich als Restaurator, insbesondere von altrussischen Kirchengebäuden, in Rußland einen Namen gemacht. Weit über seine Berufszeit arbeitete er im Auftrag des föderalen Ministeriums für Kultur an einem komplexen Plan zum Schutz und der Restaurierung der Altstadt von Solikamsk - nach wissenschaftlichen Methoden, die er am Dessauer Bauhaus kennenlernte und die er, trotz aller Widerstände im sowjetischen Alltag, auch in Rußland verwirklichen wollte.

 

Mehr über Tolziners sieben Jahrzehnte in der Sowjetunion bzw. in Rußland können Sie nachlesen in meinem Aufsatz: Suche nach einem Ort für das Gemeinschaftshaus, in: "Tauwetter, Eiszeit und gelenkte Dialoge. Russen und Deutsche nach 1945" (= Bd. 3 der West-östlichen Spiegelungen Neue Folge), 2006 erschienen im Wilhelm Fink Verlag München.

 

© Astrid Volpert, Oktober 2006